barbara wagner Ausstellung archiv bienenwachs

Ausstellungen

In der Verarbeitung von Wachs evoziert sie eine künstlerische Tradition, die zum einen auf Joseph Beuys und seinen energetischen Kunstbegriff zurück verweist. Darüber hinaus bezieht sie sich jedoch auf einen Bildbegriff, der weitaus älter ist als die Ölmalerei. Schon ägyptische Mumienporträts und Ikonen waren in Wachs gemalt. Verstanden wurden diese nicht etwa als Abbild der jeweils gezeigten Gestalt, vielmehr als deren Abdruck, als konkrete Spur eines Antlitzes, das sich hie wie in einem Schweißtuch eingeprägt hat. Das in Wachs geschaffene Bildnis ist zudem außerordentlich fragil. Es figuriert als memento mori, als Inbegriff der Sterblichkeit, doch auch der Erneuerung. Wachs berührt als Substanz Bereiche der Naturwissenschaften, ebenso aber auch der Religion und der Magie. Ein mit Wachs überzogenes Objekt gewinnt einen Charakter als Fetisch, eine Aura des Kultisch-Rituellen. Gleichermaßen beschwört ein in Wachs geformtes Bild – aufgrund der Ähnlichkeit mit dem menschlichen Inkarnat, man denke nur an das Wachsfigurenkabinett oder Plastinate in der Anatomie – erotische Vorstellungen. Die der Natur entnommene Substanz ist in besonderer Weise geeignet, die Wirklichkeit nachzubilden, Illusionen zu schaffen, Transformationsprozesse zwischen Totem und Lebendigem, Erstarrung und Verflüssigung ins Werk zu setzen. Durch Wärmezufuhr lassen sich Verfestigungen psychischer oder physischer Art aufläsen, neue Entwicklungen in Gang setzen, geistige und darüber auch gesellschaftlichen, nicht zuletzt auch ökonomische Veränderungen herbeiführen.
Dr. Christoph Kivelitz

ARCHIV

Wie ein dokumentarischer Speicher fungiert auch die gesamte Installation, Archiv tituliert. In Schubladen eines Plan- beziehungsweise Papierschrankes liegen Objekte unbekannter Herkunft. Suchenden Blicks entdecken wir Formen, die uns an Pflanzliches, etwa an Zweige, Stöckchen, Blätter denken lassen, doch ohne die vertraute Gewissheit, mit der wir sonst die Dinge des Alltags erkennen.
Anders als im Wachsfigurenkabinett verfremdet hier das Wachs die alltäglichen Dinge. Die wächserne Schutzschicht bewirkt, dass diese kleinen Nebensächlichkeiten aus der Schublade für Unbeachtetes in unserem Kopf heraus fallen und wir Ihnen neue Aufmerksamkeit und Wahrnehmung schenken.
Ariane Hackstein

BÜNDEL
Hierzu sammelt Barbara Wagner Äste, Stäbe, Zweige, die – jeweils ein Bündel tragend – in den Raum eingehängt werden. Das Bündel evoziert die Geburt eines Menschen. Das Kleinkind wurde in früheren Zeiten ja tatsächlich wie ein Bündel in die Bäume gehängt, um es so, im Winde wippend, zum Schlafen zu bringen und ihm den Eindruck einer geborgenen schwebenden Bewegung, wie schwerelos, im Mutterleib aufgehoben, zu vermitteln. Das Bündel steht auch für den Übergangszustand einer Verpuppung, in dem die Raupe sich in einer Metamorphose zum Schmetterling verwandelt, ikonographisch vielfach als Sinnbild der Vergeistigung, Auferstehung und Erneuerung gedeutet. Sein Bündel packen bezeichnet das Sich-auf-den-Weg-machen, auf-die-Reise-gehen, um Neues zu erkunden, Altes hinter sich zu lassen. So vollzieht sich auch hier – symbolisch – eine Wandlung, Veränderung, bewegen wir uns mit der Künstlerin in eine Situation des Übergangs.
Dr. Christoph Kivelitz

ZEICHNUNG
Bei den Zeichnungen muss auf etwas hingewiesen werden, was man nicht auf Anhieb sieht: oft bestehen die Zeichnungen aus mehreren übereinander gelegten, transparenten Papierblättern. Jedes der Blätter ist unterschiedlich bearbeitet: mit Bleistift, verschiedenenfarbigen Wachsstiften und Kreiden und oft noch anderen Materialien wie Gouache, Tippex usw. Die unteren Blätter schimmern durch die über ihnen liegenden mehr oder weniger deutlich hindurch. Auf dem obenauf liegenden Blatt sehen wir auf virtuose Weise ungelenk wirkende Spuren sowie Tilgungen und Übermalungen. Wir sehen außerdem offene und geschlossene Formen, flüchtig huschende und insistierende, fast sture Striche, Lineamente wie Tierspuren und andererseits bohnenförmige, kokonartige Figurationen.
Durch den mehrlagigen Bildträger sowie durch die Tilgungen und Übermalungen entsteht ein interessantes Wechselspiel von Zeigen und Verhüllen, das mich an so genannte Palimpsest erinnert, antike oder mittelalterliche Pergamente, von denen die ursprüngliche Beschriftung abgeschabt wurde, um sie neu beschriften zu können. Dies erinnert mich wiederum an Schreibtafeln aus Wachs, die gleichfalls – nach einer Glättung – neu beschriftet werden konnten, also, wenn man so will, auch unter den lesbaren mehr oder weniger unlesbare Zeichen bergen. Und mit dem Stichwort „Wachs“ hätten wir eine zugegebenermaßen etwas an den Haaren herbeigezogene Verbindung zu anderen Werkgruppen Barbara Wagners hergestellt.
Die Zeichnungen haben aber noch mehr und vielleicht offensichtlichere Gemeinsamkeiten mit den Objekten oder den Wachsbildern. Da wäre die naturhafte Farbigkeit zu nennen: Umbra, Terrakotta, Schwarz und Weiß. Naturhaft ist auch die Eigenschaft der Zeichnungen, aus mehreren Lagen zu bestehen: wie in Wachstumsringen liegen die Blätter übereinander, das obere, wie bei einer Baumrinde, mit der charakteristischen, markanten Zeichnung. Aber auch diese wirkt, wie alles, vorläufig, transitorisch, es gibt keine endgültige Form. So gibt Barbara Wagner zu erkennen, dass ihr der schöpferische Prozess oder die Performance, wie man heute gerne sagt, wichtiger ist als die Produkte dieses Prozesses. Leicht kann man sich vorstellen wie Barbara Wagner, wenn sie die Zeichnungen wieder abgehängt hat und zu Hause aufbewahrt, sie aus dem Rahmen nimmt und ein neu gezeichnetes Blatt hinzu fügt, welches die alte Zeichnung verdeckt und doch, wenn auch nur schwach, durchschimmern lässt.
Nach meinem Empfinden geht es Barbara Wagner nämlich nicht darum, irgendetwas ganz der Sichtbarkeit zu entziehen. Mir scheint, es geht, wie bei den Bäumen, Ästen, und Zweigen nicht ums Verhüllen, sondern ums Einhüllen, Schützen, nicht ums Verbergen, sondern ums Bergen. Wie die Funktion des bevorzugten Materials Barbara Wagners, des Wachses, in der Volksmedizin ja unter anderem das Heilen war. Wachs wurden aber darüber hinaus Zauberkräfte zugesprochen. So gesehen, verzaubert Barbara Wagner auch die Fotos, die sie mit Wachs überzieht und dadurch verfremdet.
Fremdmachen des Bekannten, Geläufigmachen des Unbekannten, das war eine Strategie der romantischen Kunstphilosophie, ebenso die Favorisierung des Schaffensprozesses gegenüber dem vollendeten Werk. Novalis nannte diese Strategie „Romantisieren“. (…)
Dr. Ulrich Heimann